NEM AI-50
Preis: 8900 Euro
von Cai Brockmann, Fotos: Rolf Winter
Acht Eisenfelsen machen aus diesem Verstärker eine wahre Trutzburg.
Und mittendrin knospen zwei zarte Röhren …
„Na, wie sieht’s aus“, fragt mich der Mann mit dem Rugby-Shirt, „hast du Probleme mit dem Rücken oder so?“ Vor der Redaktion parkt ein unscheinbarer Kombi, doch in der Tiefe des
Kofferraums schimmert geheimnisvoll ein edelschwarzer Monolith.
Natürlich hatte ich vorab schon ein wenig über das Gepäckstück erfahren. Und angesichts des im Telefonat mehrfach erwähnten Gewichts zögere ich jetzt den Bruchteil einer Sekunde
zu lange, um noch sportlich zu wirken. Kurzerhand wuchtet der Mann im Rugby-Shirt den schwarzen Koloss aus dem Kofferraum und schleppt ihn in die Redaktion. Ganz allein. Einfach
so. Der Redaktionstisch ächzt bedenklich; er überlebt wohl nur dank seines mittigen fünften Tischbeins. Obendrauf steht nun ein Vollverstärker, der ein paar Überraschungen bereithält.
Erste Überraschung: Der NEM AI-50, so heißt das Trumm, ist kein typisches US-Produkt, das uns mit kalorienhaltigen Showeinlagen den dicken Westen näherbringen will. Ganz im
Gegenteil! Der Blick unter die schwarze Haube ins genauso schwarze Innenleben verrät: Der NEM ist schaltungstechnisch ein Layout-Minimalist, ausgestattet mit extrem wenigen, dafür
aber äußerst gewichtigen Bauteilen. Spannungsversorgung und Signalübertragung übernehmen beispielsweise nicht weniger als acht ausgewachsene Trafos. Sie machen ganz nebenbei aus einem ziemlich großen Vollverstärker einen ziemlich großen und sauschweren Vollverstärker.
Zweite Überraschung: Der puristische Amp stammt aus Russland. Genauer: aus Sibirien. Noch genauer: Er wird in Nowosibirsk handgefertigt. Die drittgrößte Stadt des Landes spendiert übrigens auch das „N“ in NEM. Die beiden anderen Buchstaben des Kürzels stehen für „Elektromechanische Manufaktur“, verrät mir der Mann mit dem Rugby-Shirt, Andrejs Staltmanis.
Staltmanis ist Chef des Deutschland-Distributors Ultraudio, ein pragmatischer Musikliebhaber mit audiophilem Kern, lettischen Wurzeln und klaren Ansagen. Das übliche Marketing-Gelaber liege ihm nicht, sagt er, und ich glaube ihm aufs Wort. Selbstverständlich kenne er die Leute von NEM persönlich, weiß, wie akribisch sie sich um die Perfektionierung der
simplen – und historisch hochinteressanten – Grundschaltung kümmern, und aus eben diesem Grund macht er sich seit einiger Zeit für das Produkt stark. Auch weist er extra darauf hin,
dass es für eine Firma in Nowosibirsk überaus ungewöhnlich ist, etwas derart Elaboriertes wie einen gewaltigen High-End-Verstärker ohne jeden militärischen Hintergrund auf die Füße
zu stellen. Das funktioniert nur, weil NEM eng mit der Wissenschaft verbunden ist und in diesem Zusammenhang Zugriff auf Materialien und Fertigungsmethoden hat, die sonst selbst
für Geld und gute Worte nicht erreichbar sind. Zudem, und das ist angesichts der Innereien wohl ebenso entscheidend, verfügt NEM nicht nur über das nötige Know-how, sondern auch über alle wichtigen Gerätschaften und Werkzeuge im eigenen Hause. So lassen sich feine Spezialtrafos natürlich prima selbst und exakt nach Maß wickeln. Denn so viel ist klar: Für eine derart minimalistische Schaltung – Roland Kraft erläutert sie unten auf dieser Seite – ist es von elementarer Wichtigkeit, dass insbesondere die Übertragungseigenschaften der Trafos perfekt passen. So sollen im AI-50 unter anderem besonders dünne Wickelbleche zum Einsatz kommen, deren Breitbandigkeit und Wirkungsgrad offenbar nicht nur NEM beste Zeugnisse auszustellen bereit ist.


Roland Kraft über die spezielle Technik des NEM AI-50
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass man bei NEM ein Riesen-Faible für Eisen hat. Es wimmelt in diesem superschweren Vollverstärker geradezu von dicken Transformatoren und Siebspulen – alles natürlich kanalund stufengetrennt, versteht sich, wobei die Wickel dimensioniert sind, als gälte es, 200-Ampere-Schweißanlagen zu versorgen. In die schädliche Sättigung, so viel ist sicher, gerät hier rein gar nix, zudem sind zwei Zwischenübertrager montiert, denen selbst unter Volllast ein Wahnsinns-Frequenzgang attestiert wird.
Doch der Reihe nach: Der NEM AI-50 ist ein Hybrid-Verstärker mit Röhren, falsch: mit einer Röhre als Eingangs-Spannungsverstärker, auf den mithilfe eines Zwischenübertragers eine A-Transistor-Treiberstufe und eine AB-Transistor-Ausgangsstufe im Gegentaktbetrieb aufgesetzt sind. Entgegen häufig üblicher Vorgehensweise sitzen in der extrem einfach, aber effizient strukturierten Ausgangsstufe keine MOSFETs, sondern bipolare Transistoren. Eine Über-alles-Gegenkopplung existiert nicht.
Insgesamt sitzen hier extrem wenige Bauteile im Signalweg, nämlich ein TKD-Poti, eine Batterie, eine Triode, ein Übertrager und zuletzt vier Transistoren – beileibe nicht viel für zweimal 50 Watt Leistung. Nach der Eingangsumschaltung wurde ein Zehn-Kiloohm-Poti als motorbetriebener Pegelregler eingesetzt, unmittelbar danach stößt man bereits auf die erste Besonderheit, nämlich eine Batterie im Signalweg, die das Steuergitter einer lediglich zur Hälfte benutzten russischen Doppeltriode vom Typ 6H30P mit einem festen Potenzial versieht. Mit deshalb auf Masse geklemmter Kathode arbeitet die Triode auf die Primärwicklung des Zwischenübertragers. Für die 6H30P kommt eine komplett eigene Stromversorgung zum Einsatz, die aus einem Gleichrichter vom Typ EZ81 sowie einer Filterdrossel besteht, der dann eine weitere Siebkaskade im C-R-C-Stil folgt.
Die symmetrische Stromversorgung der Ausgangstransistoren erfolgt via eigenen Netztrafo und einen Brückengleichrichter aus schnellen Schottky-Dioden. Zwei auf einen gemeinsamen Kern gewickelte Siebspulen, die wegen der hohen Strombelastung extrem üppig ausgelegt wurden, verhindern effizient Störungen in den Plus- und Minus-Zweigen der Stromversorgung. Anschließend setzt NEM auf eine Batterie feiner Nichicon-Elkos. Dennoch geriet der schwere Amp dort, wo andere Anforderungen vorherrschen, nicht übertrieben puristisch. So gibt es ein „Controller“-Board mit Schutzschaltungen und der für die Fernbedienung nötigen Elektronik; die Eingangs-Umschaltung erfolgt per Relais, Lautstärke und Stummschaltung sind fernbedienbar. Darüber hinaus existiert eine umfangreiche Softstart-Automatik, die offenbar auch dafür sorgt, dass die Transistor-Endstu-fe nicht unter Strom gesetzt wird, bevor die Triode hochgelaufen ist. Die Lautsprecher-Schutzschaltung soll sich übrigens nicht im Signalweg befinden.
Alle Trafos und alle elektronischen Baugruppen wurden mechanisch vom Gehäuse entkoppelt. NEM gibt an, alle Transformatoren im eigenen Hause zu fertigen und lediglich wenige ausgesuchte Bauteile von ausgewählten Spezialisten zu beziehen.

Doch Moment mal: Darf man beim NEM AI-50 überhaupt von einem puristischen Grundkonzept sprechen, wenn es sich weder um einen lupenreinen Röhren-Amp noch um einen konsequent mit Halbleitern bestückten Verstärker handelt? Ein Hybrid stößt doch bekanntermaßen bei beiden Lagern, bei beinharten Glas- und Sand-Fans gleichermaßen auf Skepsis, ja Ablehung. Kurzum: Was genau soll der AI-50 eigentlich darstellen?
Nun, das oberste Motto der NEM-Entwickler lautete keineswegs Artenreinheit um jeden Preis, sondern vielmehr schaltungstechnischer Purismus – auf die zugegeben etwas ungewöhnliche Art. Doch wenn sich nun mal die prinzipiellen Vorzüge einer guten Röhre mit den Vorteilen eines guten Transistorkonzepts elegant oder gar kunstvoll miteinander verbinden lassen, und wenn aus dieser Verbindung auch noch höchst anständig Musik herauszuholen ist, dann ist es wohl nur angemessen und legitim, von Purismus zu sprechen.
Und so wohnen in dem imposanten Gehäuse zwei kleine Röhren inmitten eines stattlichen Trafo-Ensembles, aber auch mit vier Leistungstransistoren, die sich eng an die Kühlkörper-
Seitenteile schmiegen. Die Röhren dienen im NEM AI-50 als Spannungs-verstärker und als Impedanzwandler des Signals, während der anstrengende Stromjob zum Antrieb von Lautsprechern von den darauf spezialisierten Leistungstransistoren übernommen wird. Und damit sich Eingangsund Treiber-Röhren elektrisch allerbestens mit den Transistoren verstehen, hat NEM spezielle, exakt für diese Aufgaben maßgechneiderte Übertrager gewickelt. Sämtliche Trafos, aber auch alle anderen Baugruppen sind im massiven, ebenfalls im eigenen Hause gefertigten Gehäuse auf Gummi gebettet, um jeden mechanischen Brumm auszuschließen.


Die Ausstattung des Verstärkers beschränkt sich – abgesehen von einer Standard-Fernbedienung – tatsächlich auf das Allernötigste. So werden wohl die meisten von uns nicht mehr als drei Signalquellen und ein Lautsprecherpärchen an einen Vollverstärker anschließen wollen, oder? Mit drei Paar Cinchkabeln, einem Satz Lautsprecherstrippen sowie dem unvermeidlichen Netzkabel sind jedenfalls alle Kontaktbuchsen auf der Rückseite belegt. Es bleibt reichlich Platz für einen sympathischen, unzerstörbar wirkenden Kipp-Netzschalter, der das sibirisch-audiophile Kraftwerk ans Netz nimmt. Und nein, beim Einschalten haut’s weder die Haussicherung raus noch werden Zugvögel auf dem Weg in den Süden plötzlich umgeleitet …
Als einzig sichtbarer Beweis einer Inbetriebnahme leuchtet nun auf der Front eine LED auf, in zartem Gelb. Zu hören gibt es in dieser Farbstufe noch nichts, denn Gelb signalisiert lediglich eine Standby-Funktion.
Zwei Möglichkeiten gibt es nun, um das schwarze Schneewittchen wach zu küssen und in aller Ruhe auf Betriebstemperatur zu bringen. Man drückt entweder einen Knopf auf der schon
erwähnten Fernbedienung (die beim Testmuster noch nicht der Serie entspricht, daher keine Abbbildung), oder man drückt einen von vier Tastern auf der massiven Front. Das Tasterquartett ist aus Ebonit gedreht, fügt sich harmonisch in die massive Kunststein-Frontplatte ein und steuert Eingangswahl oder Betriebsmodus. Nach dem Drücken wechselt die LED auf Grün, doch bis zu den ersten Tönen vergehen noch gut 45 Sekunden, in denen der Bolide stabil und sanft hochfährt. Sodann macht es leise „klick“ und der gewählte Eingang meldet mit einer weiteren grünen LED seine Bereitschaft. Beinahe britisch mutet die Verteilung der drei Eingangswahlschalter an: Nummer 1 befindet sich zusammen mit dem On/Standby-Tas-
ter links vom teuren TKD-Lautstärke-poti, Nummer 3 und 4 rechts davon. Das mag schön symmetrisch aussehen und zusammen mit einer vertikalen Aluminium-Applikation einen gewissen Gestaltungswillen erkennen lassen. Mir persönlich wäre es jedoch lieber, wenn Nr. 1 sich zu seinen beiden Kollegen gesellte.

Sei’s drum. Der NEM läuft jetzt und freut sich schon auf kommende Aufgaben. Als angenehm empfinde ich, dass sein Volume-Poti auch oberhalb der Zwölf-Uhr-Stellung noch feinfühlige Einstellungen erlaubt – eine praxisnahe Auslegung, deren Regelbereich sich nicht auf eine Hälfte beschränkt. Nominell 50 Watt an acht Ohm haben zudem die Stereofone Dura gut im Griff und zaubern stabile Klang- und Raumverhältnisse ins Wohnzimmer. Der Amp verwöhnt mit Farbenpracht und überaus differenzierter, dynamisch blitzsauberer Attacke. Mit beeindruckender, lockerer Breitbandigkeit leuchtet er auch mediokre Aufnahmen sauber bis in hinterste Winkel aus, ohne je hart oder gar zickig zu werden. Der flinke NEM spielt herausragend integrativ und bewahrt musikalische Zusammenhänge geradezu meisterhaft, selbst wenn eine Produktion mal keinen audiophilen Ehrentitel trägt. Gleichwohl transportiert der Bolide vorzügliche Aufnahmen mit nochmals gesteigerter Griffigkeit und Durchhörbarkeit. Vor allem in puncto Farbenpracht und Geschlossenheit der musikalischen Darbietung heimst der talentierte Muskelamp allerhöchstes Lob ein. Es bereitet ganz einfach großes und im wahrsten Sinne ungetrübtes Vergnügen, dem NEM auch über lange Zeit zuzuhören. Seine vorzügliche Musikalität sorgt regelmäßig für sehr lange, ausgesprochen angenehme Abende mit der Scheibensammlung oder den Lieblingssendern.
In puncto Musikauswahl akzeptiert er sportlich und lustvoll, was immer auch auf dem Menü stehen mag. Ob nun Miss Ciccone mit einem lasziv-abgründigen „Vogue“ über den Wohnzimmerteppich stolziert oder aber mit einem ultraweich gespülten „This Used To Be My Playground“ auf dem Streicherteppich schwebt, der schwarze Riese folgt ihrer jeweiligen
Absicht treffsicher und faszinierend. Großes Ohrenkino! Kammermusik und Oper, Rock, Barock und Reggae transportiert er mit maximaler Spielfreude, bringt aber auch subtilste
Feinheiten bestens zu Gehör. Zudem braucht der imposante NEM-Hybrid keine Brutalpegel, um mit seiner tollen Performance zu überzeugen. Er ist immer voll „bei der Musik“ und klingt
insbesondere schon bei sehr moderaten Pegeln wunderbar gehaltvoll und putzmunter dynamisch.
Der NEM AI-50 stellt mit seiner uneingeschränkt virtuosen, faszinierend farbstarken und musikalisch involvierenden Performance eine hochinteressante Alternative zu den etablierten
Platzhirschen der Vollverstärker-Top-liga dar. Zugegeben: Er ist sicherlich nicht übertrieben kompakt, dafür aber klanglich herausragend geraten. Pozdravljaem, NEM, ein toller Vollverstärker ist euch da gelungen!
Komponenten der Testanlage
- Tonabnehmer:
- H&S Ice Blue
- Plattenspieler:
- Well Tempered Reference
- Übertrager:
- Audio Note S2
- Phonoentzerrer:
- Brocksieper PhonoMax, EAR 834P
- CD-Player:
- Philips CD104 modified by Roman Groß, DynaStation 2.5
- Tuner:
- Luxman T-111 mit Magnum Dynalab ST-2
- Vorverstärker:
- Shindo Monbrison
- Lautsprecher:
- Dynavox Imperial, Finite Elemente Modul LS, Klipsch Palladium P-39F, Stereofone Dura
- Kabel:
- A23, Audio Note, Crimson, Mogami, Shindo, Sun Wire, Voodoo Cable
- Zubehör:
- DynaBase, Finite Elemente Pagode und Spider, Stillpoints, Sun Leiste, DynaLeiste
- Raumakustik:
- Fast Audio
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- Was gefällt:
- Unerschütterlichkeit, Kraft, Luft und Beweglichkeit. Und tolle Klangfarben!
- Was fehlt:
- Adäquate Fernbedienung (mindestens 2 Kilo).
- Was überrascht:
- Nur drei Eingangswahltaster, dennoch auf links und rechts verteilt.
- Was tun:
- Die klangliche Schönheit Sibiriens in aller Ruhe zu Hause entdecken!
image infos

Röhren-Vollverstärker NEM AI-50
- Leistung (8 Ω):
- 2 x 50 W (Herstellerangabe)
- Eingangsimpedanz:
- 10 кΩ
- Eingangsempfindli-chkeit:
- 1,25 V
- Röhrenbestückung:
- 6H30P und EZ81
- Eingänge:
- 3 x Hochpegel (Cinch)
- Ausgänge:
- 1 Paar Lautsprecher-klemmen aus Reinkupfer
- Besonderheiten:
- puristische, gegenkopp-lungsfreie Hybrid-Schaltung mit Zwischen-übertragern; Fernbedienung nach RC5-Standard
- Ausführung:
- Front polierter Kunststein, Ebonit-Taster, Lautstärkeregler und Applikation Aluminium natur, Gehäuse Aluminium schwarz
- Maße (B/H/T):
- 48/23/49 cm
- Gewicht:
- 50 kg
- Garantiezeit:
- 3 Jahre
- Preis:
- 8900 Euro
image kontakt
Audiovertrieb Andrejs Staltmanis
An der Meerwiese 23a
48157 Münster
Telefon 0251/211016
www.ultraudio.de